14/10/2025 0 Kommentare
Vielen Dank für alles
Vielen Dank für alles
# Predigt des Superintendenten

Vielen Dank für alles
Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen.
Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.
Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.
Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf und nannte die Stätte Bethel.
Neulich auf dem Weg nach Potsdam – als die S-Bahn im Bahnhof Griebnitzsee einfährt kommt eine Durchsage: „Achtung, dieser Zug endet hier. Bitte alle aussteigen! Zur Weiterfahrt Richtung Potsdam nutzen Sie bitte andere Verkehrsmittel.“ Die Fahrgäste – und ich auch – sind einigermaßen verdutzt. „Wieso geht’s hier nicht weiter?“ Wir laufen zum Anfang des Zuges, wo der S-Bahn-Fahrer gerade in aller Seelenruhe seinen Rucksack einpackt. Wir fragen ihn, was denn los sei? „Irgendeine Störung“, sagt der. „Kann ich auch nicht ändern!“ „Aber wie lange wird es denn dauern?“ will eine Frau wissen. „Können Sie nicht mal in der Zentrale nachfragen?“ „Welche Zentrale?“, der Zugführer zuckt mit den Achseln, „Tut mir leid – ich kann Ihnen da auch nicht helfen.“ Er nimmt seinen Rucksack und zieht davon. „Vielen Dank“, ruft ihm die Frau hinterher. „Vielen Dank für nichts!“
Dieser Satz hat mich aufhorchen lassen: „Vielen Dank für nichts!“ Das sagen Menschen mittlerweile immer öfter, wenn sie ihrem Gegenüber auf sarkastische Weise deutlich machen wollen: „Du hättest mir mal helfen können!“ Oder: „Dein Rat war schlecht. Damit hast Du mir einen Bärendienst erwiesen.“ Einen Pop-Song habe ich gefunden über das Ende einer Beziehung, wo der Sänger voller Frust und Verletzung textet: „Es ist gut, dass du weg bist - danke für gar nichts“. Und dann gibt es immer mehr Menschen, die sich über politische Entscheidungen aufregen. Wer unzufrieden ist, schreibt dann gern mal an die verantwortlichen Politiker in die sozialen Medien ein wütendes: „Vielen Dank für nichts!“
Vielleicht sind diese Worte auch Ausdruck einer gesellschaftlichen Grundstimmung. Im Moment scheint es leichter, öffentlich seine Unzufriedenheit kundzutun als seine Dankbarkeit.
Meckern kann jeder – Danken ist eine Kunst
Dass das Danken irgendwie schwierig und anstrengend ist, erleben schon Kinder. Da gibt’s die Scheibe Geflügelwurst auf die Hand von der freundlichen Fleischereifachverkäuferin und die Mutter mahnt „Na? Wie sagt man?“ Gerade wenn Kinder das erst neu lernen oder wenn das Gegenüber fremd ist, kommt oft nur ein verschämt geflüstertes „Danke“ heraus. Erwachsenen geht das „Danke“ an der Ladentheke oder bei aufgehaltenen Türen natürlich leichter von den Lippen. Aber ist es da mehr als eine Höflichkeitsfloskel?
Ein Merkposten für den Dank
Jakob beherrscht diese Kunst – er salbt einen Stein. Eben noch hat sein Kopf darauf gelegen. Nur eine Mütze Schlaf auf der Flucht, wollte er, nur eine kurze Atem-Pause vom Weglaufen. Denn sein Bruder Esau ist ihm auf den Fersen, will ihm an den Kragen. Heimatlos liegt er hier im Nirgendwo, alle Brücken musste er abbrechen, alle Türen haben sich hinter ihm geschlossen.
Doch in dieser Nacht hat sich die Pforte des Himmels über ihm geöffnet. Im Traum hat er eine Leiter gesehen, welche die Gottes- und die Menschenwelt verbindet. Viel Betrieb war auf der Leiter, geschäftig sind die Boten Gottes herabgestiegen, haben sich im Dunkel der Nacht unerkannt unter die Leute gemischt. Geschäftig sind sie zurückgekehrt, nun ein Stück Welt in ihrem Gepäck: Gerüche, Geräusche, Berührungen, Bilder – sie haben sie mitgenommen und sind wieder hinaufgestiegen zum Himmel.
Vielleicht ist auch die Unruhe Jakobs dabei gewesen, seine List und seine Tücke, seine Lebensgier und seine Lebensangst, seine Einsamkeit. Auf jeden Fall haben die Himmelsboten ihm im Gegenzug ein Wort gebracht - ein Wort Gottes. Von ganz oben ist es die Leiter herabgewandert von Mund zu Ohr wurde es weitergesagt von Sprosse zu Sprosse bis Jakob es hört. Bis er hört, dass Gott mit ihm sein wird, ihn stärken will.
Das unbekannte Land, auf dem er liegt … es wird sein Land sein, Heimat für Kinder- und Kindeskinder. Und mit dieser Zusage im Herzen ist er aufgewacht, staunend, dankbar. „Beth El“ nennt er diesen Ort. „Haus Gottes“ und als wärs der Grundstein eines Altars oder Tempels salbt er den Stein. Ein Merkposten für den Dank an Gott, eine Markierung im Grenzland, da wo die Grenze einen Moment aufgehoben war zwischen Himmel und Erde.
Himmelsleiter-Momente
Besonders elegant geht das auf Italienisch: „Mille grazie“. Da steckt das Wort Grazie drin, also Anmut oder Liebreiz, aber auch das lateinische Wort „Gratia“ klingt an. „Gnade“. Vielen Dank, für alles was gratis ist – Gnade, Geschenk. Dank ist immer etwas, das nicht mit Leistung und Einsatz meiner selbst verknüpft ist, sondern mit Gnade zu tun hat.
Dank ist angebracht, wenn ich etwas nicht erarbeitet, nicht erworben oder selber gemacht und hergestellt habe und es dennoch gelingt. Wer alles nur auf sich selbst und die eigenen tollen Fähigkeiten bezieht, ist nicht dankbar, sondern stolz und eitel. Doch die Dankbarkeit weiß um die Himmelsleiter-Momente, wo mir etwas zugefallen ist, wo ich bewahrt worden bin, wo mir ein Wort, eine Erkenntnis oder ein Trost im Herzen geleuchtet haben, die nicht von mir, sondern von woanders her waren.
„Mille grazie“ wenn eine Freundschaft gelingt und eine Partnerschaft ohne tiefe Zerwürfnisse bleibt, wenn der Beruf Freude macht und nicht nur durchgestanden wird, wenn eine Krankheit nicht gefangen nimmt und genug Lebensfreude lässt. Es ist dieses Unverfügbare, dieses Quäntchen Glück, das wir Christen mit Gott verbinden. Alles ist Gnade.
Thank you for the music
Und wie schön das klingt – macht ihr uns vor, liebe Sängerinnen und Sänger. Die Tonleiter als Himmelsleiter, auf der man sich emporschwingen kann zum Lobpreis Gottes, mit der es sich jauchzen lässt von der Freude des Glaubens. Vielleicht ist ja das Singen die beste Weise, um das Danken einzuüben. Nicht belehrend wie beim Kind an der Fleischtheke „Na? Wie sagt man?“, sondern mitreißend. Manchmal zieht ein Lied unser müdes Herz hinter sich her, bis es wieder auf eigenen Beinen stehen kann und dankbares Staunen sich ausbreitet. Das kann nur die Musik. Also … um ABBA zu zitieren: „Thank you for the music!”
Gern geschehen
„Vielen Dank für nichts!“ Das hört man in letzter Zeit immer öfter. Ausdruck einer enttäuschten, misstrauischen Lebenshaltung, die sich nur auf sich selbst verlässt, weil sie nicht angewiesen sein will. Die vergessen hat, wie wunderbar es ist, dass wir Menschen uns geschenkt sind. Eine christliche Lebenssicht weiß um das Gnadenhafte unseres Lebens, um mancherlei Himmelsleitern, die uns immer wieder verbinden mit der Wirklichkeit Gottes. „Vielen Dank für alles!“ Könnte das unser Lebensmotto und Gebet sein? Und wer weiß … ab und zu mag es uns vorkommen, als würde es von Oben antworten: „Gern geschehen.“
Der 2022 verstorbene Autor Hans Magnus Enzensberger hat diese Kunstform beherrscht. Nur beim Adressaten war er sich nicht so sicher. Daher hat er sein Gedicht „Empfänger unbekannt“ genannt:
Vielen Dank für die Wolken.
Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavier
und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.
Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn
und für allerhand andre verborgene Organe,
für die Luft, und natürlich für den Bordeaux.
Herzlichen Dank dafür, daß mir das Feuerzeug nicht ausgeht,
und die Begierde, und das Bedauern, das inständige Bedauern.
Vielen Dank für die vier Jahreszeiten,
für die Zahl e und für das Koffein,
und natürlich für die Erdbeeren auf dem Teller,
gemalt von Chardin, sowie für den Schlaf,
für den Schlaf ganz besonders,
und, damit ich es nicht vergesse,
für den Anfang und das Ende
und die paar Minuten dazwischen
inständigen Dank,
meinetwegen für die Wühlmäuse draußen im Garten auch.
Amen.
Florian Kunz
Predigt gehalten am 21. September 2025, in der St. Nikolai Kirche zum Abschluss des Gospelchortreffens. Eine Predigt nach 1. Mose 28: Vielen Dank für alles
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