02/07/2024 0 Kommentare
Aufstehen für Toleranz und ein friedliches Miteinander
Aufstehen für Toleranz und ein friedliches Miteinander
# Mahnwache

Aufstehen für Toleranz und ein friedliches Miteinander
Seit über 20 Jahren stehen Menschen einmal im Monat samstags von elf bis zwölf Uhr in der Spandauer Innenstadt. Sie stehen da und zeigen Gesicht „für Toleranz und ein friedliches Miteinander, gegen Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit“, wie auf einem großen Banner zu lesen ist, das von zwei „Mahnwächtern“ gehalten wird.
Die meisten sind die ganze Stunde dabei, andere eine Zeit lang. Es sind immer mindestens ein Dutzend, oft aber auch zwischen 20 und 30. Passanten informieren wir mit Karten, auf denen unsere Motive erläutert werden. Bei den meisten, die regelmäßig mitmachen, sind es wohl religiöse Beweggründe. Aber auch „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, wie es in unserem Grundgesetz steht, mag für manch einen das Motiv sein. Wir fragen nicht.
Immer wieder bleiben Menschen stehen, sprechen uns an, stellen sich manchmal eine Weile dazu. Es gibt Anerkennung von ihnen, aber öfters kommt es auch zu kontroversen Diskussionen. Den meisten Anstoß erregt meist unser Zusatzschild „Geflüchtete willkommen heißen“. Andere gehen schnell und schweigend an uns vorbei, als ob unser „Gutmenschentum“ ansteckend sein könnte. Handgreiflichen Streit gab es – jedenfalls in meiner Erinnerung – zum Glück noch nie.
Vor der Mahnwache halten wir eine Andacht: Wir sitzen im Kreis im Chorraum der St.-Nikolai-Kirche oder in einem der Gemeinderäume bei der Kirche. Wir bedenken da unser Tun, tauschen Informationen aus und stellen unser Tun und die Welt unter das Wort und den Segen Gottes. Dann geht es von da aus zum Marktplatz. Nur wenn dort Weinfest oder Weihnachtsmarkt ist, halten wir die Mahnwache vor der Kirche.
Das Mahnwachen begann bereits in den 1980er Jahren, als während des Golfkrieges Spandauer Pfarrer mehrmals zu Friedensmahnwachen aufriefen: „Spandauer Pfarrer sagen Nein zu Massenvernichtungsmitteln!“ oder „Spandauer Christen mahnen: Entweder wir schaffen die Rüstung ab …“ hieß es damals. Nach den rassistischen Anschlägen von Hoyerswerda (September 1991) und Mölln (November 1992) gab es wiederholt Mahnwachen auf dem Marktplatz, zum Teil wöchentlich. Das Motto: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt … Spandauer Christen/innen gegen Gewalt und Ausländerhass“.
Am 2. September 2000 fing der monatliche Turnus der „Mahnwache gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“ an, zunächst auf ein Jahr befristet. Beim ersten Mal waren 50 bis 70 Leute dabei. Im September 2000 begrüßte der Kreiskirchenrat die Mahnwache und übernahm die Trägerschaft. Im Juni 2001 beschloss man, die Mahnwache nicht mehr schweigend zu halten, im Juli die Verlängerung um ein weiteres Jahr. Seit April 2003 wird die Mahnwache ohne zeitliche Begrenzung weitergeführt – bis heute. Nur in einzelnen Monaten fiel sie aus: immer wieder mal im Sommer wegen Ferien, zuletzt im April 2020 wegen Corona.
Neben der monatlichen Mahnwachen waren wir auch bei den Spandauer Evangelischen Kirchentagen aktiv. Wir gestalteten im März 2015 eine Sonder-Mahnwache des Kirchenkreises wegen des Terrorangriffs auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie in Paris mit. Maßgeblich beteiligten wir uns an der kirchlichen Präsenz bei den Protestveranstaltungen gegen einen Nazi-Aufmarsch aus Anlass des 30. Todestages des Kriegsverbrechers Rudolf Hess 2017 und dann noch einmal im August 2018.
Das bürgerschaftliche Engagement vieler zahlte sich aus: Die Nazis verloren das Interesse am Standort Spandau und kamen nicht wieder. Zu nennen sind ferner Sondermahnwachen im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus oder als „Gegenpol“ bei rechten „Montagsdemonstrationen“ in Spandau oder „Sonntagsspaziergängen“ in Kladow. Mehrmals schrieben wir auch Briefe an den Innensenator oder den Bundesinnnenminister wegen der Lage von Geflüchteten. Und wir machten immer wieder mit bei Gedenkveranstaltungen befreundeter Gruppierungen in Spandau.
Unterstützer waren anfangs der Spandauer Ausländerbeirat, der Frauenbeirat, das Katholische Dekanat Spandau (vorher: Maximilian-Kolbe-Gemeinde), Aktion Noteingang und das Spandauer Bündnis gegen Rechts. 2023 wird die Mahnwache unterstützt vom Spandauer Bündnis gegen Rechts, der katholischen Kirche, der Spandauer Gruppe von amnesty international, der Pax-Christi-Bewegung im Erzbistum Berlin und den OMAS GEGEN RECHTS.Berlin (Stadtteilgruppe Spandau). Die Mahnwache ist Mitglied im Netzwerk Spandau für Demokratie, Toleranz, Respekt & Vielfalt.
Franz-Josef Esser
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