02/07/2024 0 Kommentare
Im Kämmerlein
Im Kämmerlein
# Predigt des Superintendenten

Im Kämmerlein
Zwei Hände – sie ragen aus umgeschlagenen Ärmeln, die Spitzen der feingliedrigen Finger berühren sich, sind schräg nach oben gerichtet. Richtig plastisch wirkt die Tinte- und Kreidezeichnung auf blauem Grund.

Der Maler Albrecht Dürer hat sie 1508 als Vorstudie für die betenden Hände eines Apostels für ein prächtiges Altarbild angefertigt. Der Altar ging 1729 bei einem Großbrand in Flammen auf, die kleine Zeichnung der „Betenden Hände“ überdauerte die Zeiten und gelangte zu enormer Populariät.
Neben dem Hasen sind diese Hände das bekannteste Werk Albrecht Dürers. Millionenfach kopiert und reproduziert – auf Relieftafeln und Bibeln, als Konfirmationsgeschenk und auf Kondolenzkarten. Jeder Devotionalienladen hat die „Betenden Hände“ im Programm und jedes Tattoo-Studio auch. Andy Warhol ließ sie einst auf seinen Grabstein meißeln und heute rangieren sie irgendwo zwischen kultig und kitschig. Lange Zeit fand man sie in vielen Wohnstuben eingerahmt an der Wand hängen. Gar nicht mal nur in besonders frommen Haushalten war dieses Synonym für Beten zu finden. Hing da mitten im Alltag wie ein stellvertretendes Gebet, eine kleine Erinnerung: Wenn du Gott brauchst, ist er nur ein Händefalten entfernt …
Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.
Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein …
Wissen Sie noch, wie das war, vor zwei, drei Jahren? Da haben viele mit dem Kämmerlein so ihre Erfahrungen gemacht. Zuhause-bleiben hieß die Devise im Lock-Down – ob Arbeit, Freizeit oder Urlaub – alles ein Kammerspiel, aber kein Kinderspiel. Mütter und Väter im Home Office konnten vom stillen Kämmerlein nur träumen und manch anderem sind die eigene vier Wände viel zu still und einsam geworden, so ganz ohne Besuche von Freunden und Familie.
Ja in der Quasi-Quarantäne des Kämmerleins konnte einem schon mal die Decke auf den Kopf fallen – wie gut wenn das Kämmerlein dann nicht allzu klein ist. Und das Beten im Kämmerlein? Mancher geht ja zum Lachen in den Keller, aber zum Beten ins Kämmerlein? Doch! So einige beten Zuhause - im Bett vor dem Einschlafen und am Küchentisch vor dem Essen. Andere finden zwischen dem vielen Kram des Alltags nicht die rechte Konzentration. Dann lieber in die Weite eines Kirchenschiffs eintauchen, das Flackern von Kerzen und Buntglasfenstern, diesen anderen Raum, der schon durchbetet ist, von so vielen anderen vor uns.
… und schließ die Tür zu …
Mönche und Nonnen machen vor wie das geht. Kloster von lateinisch „claustrum“, das heißt „abgeschlossen“. Die Klosterpforte ist nicht umsonst ein geschützter Bereich, das Leben in der Welt soll draußen bleiben – Tür zu zur Klausur! Und auch innerhalb der Klostermauern zieht man sich immer wieder zurück ins Kämmerlein, die sogenannte Klosterzelle.
Im Orden der Karthäuser bewohnen die Mönche sogar um den Kreuzgang angeordnete Häuschen, mit Bett, Herd und kleinem Gemüsegarten, die sogenannten Karthausen. Eremiten in Gemeinschaft. Neben dem persönlichen Gebet im eigenen Kämmerlein, gibt es immer, mehrmals am Tag, das Beten in der Gemeinschaft. Und wer einmal ein gesungenes Stundengebet in einer Klosterkirche miterlebt hat, weiß wie schön sich das anhört. Kein Wunder, dass eine Auszeit im Kloster, sehr beliebt ist, nicht nur bei gestressten Managern.
„Doch Moment mal!“, könnte jetzt einer einwenden „so ein klösterlicher Rückzug, so ein privater Kämmerlein-Glaube ist das nicht sehr individualistisch, fast ein Ego-Trip?“ Viele Mönche und Nonnen machen vor, dass es nicht so ist. Jesuiten, die als Seelsorger im Abschiebegewahrsam arbeiten, Franziskanerinnen, die Aids-Kranke zuhause pflegen bis zuletzt. Der Rückzug vom Alltag im Gebet und die Zuwendung zur Welt. Das weiß auch der Liederdichter Jochen Klepper: „Die Hände, die zum Beten ruhn,die macht er stark zur Tat. Und was der Beter Hände tun, geschieht nach seinem Rat.“ Recht hat er. Kontemplation und Aktion das eine geht nicht ohne das andere, das Kämmerlein als Kraftquelle, von dem alles ausgeht.
Gott ist kein Kämmerlein fremd
Das hat der Mönch Martin Luther auch getan, im Südturm des Wittenberger Augustinerklosters. Hat im Gebet bei Gott angeklopft und den Römerbrief des Paulus abgeklopft, ob da nicht doch Worte der Gnade zu finden wären. Beten im Kämmerlein – klingt beschaulich, ist es aber nicht immer.
Tobend und ringend, so stell ich mir Luther dabei vor. Doch schließlich der Durchbruch, die Entdeckung: Gottes Gerechtigkeit ist kein Schuldschein, sondern ein Liebespfand. „Luthers Turmerlebnis“ nennt das die Forschung. Und bis heute ist nicht ganz klar in welchem Kämmerlein des Turms Luther der entscheidende Gedanke gekommen ist. Er selbst hat später durchblicken lassen, es könnte ein sehr stilles Örtchen gewesen sein. Gott ist offensichtlich keine unserer menschlichen Kämmerlein fremd.
Home-Office, Kirche oder Himmelszelt
Ob im Home-Office, in der Kirche oder unter freiem Himmel – unser Kämmerlein haben wir immer dabei, können es aufsuchen jederzeit: Unser Herzenskämmerlein. Kein Ort den wir jedem öffnen, ja, manchmal trauen wir uns selbst nicht hinein zu schauen. Denn da liegt so manches rum, es ist nicht aufgeräumt. Viel hat sich angesammelt im Laufe unseres Lebens. Manches haben wir darin freudig verwahrt wie einen Schatz, anderes darin traurig verborgen, Tür zu und Schlüssel abgezogen.
Beten heißt, Gott mitzunehmen ins Kämmerlein des Herzens. Nicht, dass er nicht schon wüsste wie es darin aussieht. Aber zu wissen: Einem kann ich mich zeigen, so wie ich bin mit meinen Erfolgen und Niederlagen, mit Stolz und Scham, mit den Sorgen die immer wiederkehren und Fragen, die keine Antwort finden. Er darf sie sehen, der auch in den Dunkelheiten des Lebens wohnt. Bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten. Viele Worte und Erklärungen braucht es dafür nicht, ein Seufzer reicht – und die Herzenstür geht auf. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.
Nehmen Sie Kontakt auf
Zwei Hände – sie ragen aus umgeschlagenen Ärmeln, die Spitzen der feingliedrigen Finger berühren sich, sind schräg nach oben gerichtet. Richtig plastisch wirkt die Tinte- und Kreidezeichnung auf blauem Grund. Es ist Albrecht Dürers eigene linke Hand, die er vor einen Spiegel gelegt und abgezeichnet hat. Eine Fingerübung der besonderen Art. Je länger man diese Hände jedenfalls betrachtet, umso bewegter wirken sie. Als würden sich die Finger des Beters gerade erst finden. Werden sie sich falten, oder bleiben sie in der spannungsvollen Berührung der Fingerkuppen?
Probieren sie das doch mal aus! In Kontakt kommen mit sich und mit Gott – das ist die Fingerübung des Betens. Die eigenen Hände spüren … wann haben sie zuletzt freudig geklatscht? Wo wurden sie wütend zur Faust geballt? Wann hingen sie sorgenvoll herab? Wen haben sie zuletzt gestreichelt? Und … ganz unbemerkt sind Sie ins Kämmerlein eingetreten. Einer wartet dort schon. Viele Worte machen – ist bei ihm unnötig und wenn doch, dann die nehmen, die aus der Herzkammer Jesu stammen:
Vater unser im Himmel … Amen!
Superintendent Florian Kunz
Predigt zu Matthäus 6, 6 bis 13 gehalten auf der Frühjahrssynode am 3. Mai 2024 in der Dorfkirche Kladow
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