Das poetische Herz des Alten Testaments: Psalmlieder

Das poetische Herz des Alten Testaments: Psalmlieder

Das poetische Herz des Alten Testaments: Psalmlieder

# Kirchenmusik aktuell

Das poetische Herz des Alten Testaments: Psalmlieder

Haben Sie schon einmal das ganze Gesangbuch durchgeblättert? Wer das wagt, entdeckt weit mehr als nur altvertraute Choräle. Zwischen Martin Luther, Paul Gerhardt und Jürgen Henkys, zwischen Abendlied und Auferstehungshymnus liegt ein stilles Juwel verborgen: die Psalmlieder. Oft werden sie übersehen. Doch wer sich auf sie einlässt, spürt schnell – hier spricht eine andere Stimme. Ursprünglicher, liturgischer, manchmal fremd und zugleich tief vertraut.

Die Psalmen sind das poetische Herz des Alten Testaments. Im Evangelischen Gesangbuch (EG) begegnen sie uns nicht nur in biblischer Prosa, sondern in metrischer Gestalt – in Liedform. Komponiert, gedichtet, übersetzt von Generationen, die die Worte Davids in den Rhythmus ihrer Zeit gebracht haben. „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser“ (EG 278), „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ (EG 299), „Du, meine Seele, singe“ (EG 302) – das sind keine netten Kanzelparolen, sondern Stimmen aus Abgründen und Höhen. Klage, Lob, Zorn, Vertrauen – nichts wird fromm geglättet.

Auffällig ist ihre kluge Platzierung: Nicht im Festkreis, sondern ganz in der Mitte des Gesangbuchs im Abschnitt „Biblische Gesänge“. Psalmen wollen nicht gefeiert, sondern mitten unter uns gelebt werden. Sie sind existenziell. Ihre Sprache schmiegt sich nicht an den Sonntagmorgen, sondern an die Lebensmitte, an Schmerzgrenzen, an Hoffnungsschimmer.

Gerade die Vertonungen des Genfer Psalters, etwa von Claude Goudimel, bringen eine spröde Strenge mit sich – fern aller süßlichen Romantik. Der Reformator Johannes Calvin wusste, warum er auf den Gesang der Psalmen bestand: Sie binden den Einzelnen ans Ganze, die Gemeinde an die Welt, das Jetzt ans Ewige. Wer Psalmlieder singt, betet mit Jahrtausenden.

In einer Zeit, die ständig nach „Relevanz“ fragt, haben Psalmlieder eine stille Kraft. Sie sind nicht laut, aber dauerhaft. Nicht modisch, aber menschlich. Sie erinnern uns daran, dass Glauben mehr ist als Gefühl – er ist Sprache, Rhythmus, Widerstand und Trost. Vielleicht blättern Sie das nächste Mal nicht weiter, wenn Sie etwa bei EG 270 ankommen. Vielleicht singen Sie einfach. Und hören, wie alt und neu zugleich Gottes Lob sein kann.

Zum Reinhören: Mitsingversion mit Orgelbegleitung von EG 270 (Direktlink zu YouTube)

Carsten Albrecht, Kirchenmusiker in Staaken

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