21/10/2024 0 Kommentare
In dir ist Freude
In dir ist Freude
# Predigt des Superintendenten

In dir ist Freude
Es war im August dieses Jahres bei der ersten gemeinsamen Kundgebung der demokratischen US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris mit ihrem frisch nominierten Kandidaten für die Vizepräsidentschaft, Tim Walz. Volle Halle in Philadelphia, Menschen schwenken Transparente, Aufbruchsstimmung. Und Tim Walz dankt Kamala Harris für das Vertrauen, das sie in ihn gesetzt habe, doch noch viel wichtiger sei ihm, ihr zu sagen…
„Thank you for bringing back the joy!“ Jubel braust auf, eine lachende und etwas verlegene Kamala Harris ist zu sehen.
In diesen Monaten hatte sich im amerikanischen Wahlkampf tatsächlich ein ungeahnter Stimmungsumschwung vollzogen. Auf einmal gab es wieder Hoffnung, Donald Trump zu schlagen und die amerikanische Demokratie vor ihrer schwersten Prüfung zu bewahren. Hoffnung, die anhält - nicht nur in Amerika, sondern weltweit. „Thank you for bringing back the joy!“
Wie kommt die Freude zurück … in die deutsche Politik?
In unsere immer stärker polarisierte Gesellschaft? Unsere manchmal so müde wirkende Kirche? Wie kommt die Freude zurück angesichts so ausweglos wirkender Kriege – in der Ukraine, im Nahen Osten? Wie kommt die Freude zurück – trotz vieler Sorgen auch im Privaten und mancher Schicksalsschläge, die Menschen zu verkraften haben?
„Wie kommt die Freude zurück?“
Das fragt sich auch Cyriakus Schneegass, der seit 1573 in der thüringischen Kleinstadt Friedrichsroda als evangelischer Pfarrer wirkt. Das Schwere und Traurige des Lebens ist ihm nicht fremd, als Kind erlebt er hautnah den Schmalkaldischen Krieg mit, der ganze Landstriche Mitteldeutschlands verwüstet, sein Friedrichsroda wird immer wieder von der Pest heimgesucht und als Seelsorger nimmt Schneegass aufmerksam Anteil an den vielfältigen Sorgen und Nöten der Menschen. Auch sein eigenes Familienleben ist nicht frei von Kummer. Zwei seiner Söhne sterben im frühen Kindesalter. Kein Wunder, dass ihn manchmal dunkle Gedanken überfallen, sich eine Traurigkeit in sein Herz schleicht. „Wie kommt die Freude zurück?“, fragt sich der Pfarrer, als er durch das nächtliche Friedrichroda streift. Da hört er eine Melodie, sie kommt aus einem Wirtshaus. Die Menschen schunkeln zu ihrem Klang und lassen ihre Bierkrüge rhythmisch auf die Tische niedersausen, einige tanzen auch.
Cyriakus Schneegass merkt wie ihm die Musik in die Beine fährt, unwillkürlich hat er angefangen ein wenig hin und her zu wippen. Im Wirtshaus hebt nun einer zu singen an, während ein anderer die Laute schlägt:
Fröhliches Leben,
Amor kann’s geben,
falala lala lalala.
Will euch verzehren
Liebesbegehren,
lasst ihn regieren
und euch verführen,
falala lala lalala.
Die ihn verachten,
müssen verschmachten,
falala lala lalala.
Amor wird’s rächen,
den Stolz zerbrechen,
wird sie ereilen
mit seinen Pfeilen,
falala lala lalala.
Es ist spät geworden, der Pfarrer macht sich auf den Nachhauseweg, leise das Lied weitersummend. Was er nicht ahnt ist, dass er gerade einen der größten Pop-Hits seiner Zeit gehört hat und er zu seiner Verbreitung beitragen wird. Die Melodie stammt aus der Feder Giovanni Giacomo Gastoldis, eines Mailänder Sängers und Komponisten, der auch geweihter Priester ist. Gastoldi wird sie später in einer Sammlung veröffentlichen mit dem Titel „Balletti a cinque voci“ („Tänzchen zu 5 Stimmen“). Tanzmusik ist das – wie sich das für einen guten Popsong gehört. Und natürlich handelt er von der Liebe.
Ein unbekannter Verfasser hat auf den leichtfüßigen Dreiertakt einen Text gelegt, der Amor als Spender von Liebe und Leidenschaft preist, aber auch vor der Unberechenbarkeit des, Pfeile schießenden, Liebesgottes warnt: „A lieta vita Amor c’invita“ („Zum freudigen Leben, lädt Amor uns ein“). Die Melodie verbreitet sich rasch in ganz Europa, wird an Höfen getanzt, in Schankstuben gesungen und in den Gassen gepfiffen. Vielfach wird das Lied gecovert, zum Beispiel von Thomas Morley, Organist an der St Pauls-Kathedrale in London und königlicher Hofkomponist: „Sing we and chant it, while love does grant it“.
Cyriakus Schneegass ist derweilen zuhause eingetroffen. Seine Frau und die Kinder schlafen längst. Der Pfarrer entzündet eine Kerze und geht in seine Studierstube. Immer noch hat er diese Melodie im Ohr, er wird sie nicht los. Auf seinem Schreibtisch liegt das aufgeschlagene Neue Testament. Nach einem Bibelwort für eine Taufpredigt hatte er gesucht und war im Römerbrief fündig geworden: Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Da kommt ihm eine Idee, er öffnet das Tintenfass, taucht die Feder hinein, malt Linien, Noten und Wörter auf das Papier – eine Strophe entsteht:
1. In dir ist Freude in allem Leide,
o du süßer Jesu Christ!
Durch dich wir haben himmlische Gaben,
du der wahre Heiland bist;
hilfest von Schanden, rettest von Banden.
Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet,
wird ewig bleiben. Halleluja.
Zu deiner Güte steht unser G'müte,
an dir wir kleben im Tod und Leben;
nichts kann uns scheiden. Halleluja.
Auch Cyriakus Schneegass Lied handelt von amor – der Liebe. Nicht von einem launischen Liebesgott, der seine Pfeile mal hier mal dorthin schießt, sondern vom liebenden Gott, der in Christus seine Arme ausbreitet. Ein besonderer Tanzmeister, der uns nicht nur neue Lebens- und Glaubensschritte beibringt, sondern jeden Schritt mitgeht, selbst zum Tanzpartner wird. Es ist ein sehr enger Tanz, eine untrennbare Verbindung, die in allen Dunkelheiten, ja selbst im Tod bestehen bleibt: An Dir wir kleben im Tod und Leben.
Elvis Presley hat 1960 in einem Song sehr ähnliche Worte gefunden: You can shake an apple off an apple tree, but you'll never shake me. No, sir, I'm going to stick like glue, stick, because I'm stuck on you. Gottes Liebe lässt sich nicht abschütteln, er bleibt an uns dran, was auch kommt. Der King lebt, jedenfalls der, der Jesus Christus heißt. In Dir ist Freude, in allem Leide – der Seelsorger Schneegass redet das Leid nicht klein, findet er die Freude doch bei dem, der das Leid selbst kennt, hautnah sich ihm aussetzt. Es ist ein trotziges Lied, eine Tanz-Anleitung zum Leben und Sterben, geradezu österlich.
2. Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden
Teufel, Welt, Sünd oder Tod;
du hast's in Händen, kannst alles wenden,
wie nur heißen mag die Not.
Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren
mit hellem Schalle, freuen uns alle
zu dieser Stunde. Halleluja.
Wir jubilieren und triumphieren,
lieben und loben dein Macht dort droben
mit Herz und Munde. Halleluja.
Als die Friedrichsrodaer Kirchengemeinde zum ersten Mal das neue Lied ihres Pfarrers gesungen hat, blickt Cyriakus Schneegass in leuchtende Gesichter. „So ein schwungvolles Lied und die Melodie ist so eingängig!“ tuschelt eine Frau mit ihrer Nachbarin. Andere freuen sich an der prägnanten Sprache und den biblischen Anspielungen. Nur ein Großbauer, geistigen Getränken nicht ganz abhold, grübelt: Hat er diese Melodie nicht schon mal woanders gehört? Und der Superintendent, gerade auf Visitation in der Gemeinde zieht die Stirne kraus. Hat er in der letzten Kirchenbank Leute schunkeln sehen?
Wie kommt die Freude zurück? Manchmal braucht es nur eine Melodie, fährt dir in die Beine und bleibt im Herzen – ohrwurmverdächtig. Manchmal sind es die Worte eines thüringischen Pfarrers aus dem 16. Jahrhundert, die etwas auslösen, weil sie der Hoffnung eine Sprache geben, die so schön ist und kraftvoll. Wenn wir sie singen – diese Töne und Worte dann passiert etwas mit uns – wir leihen uns den Glauben derer, die vor uns dieses Lied in Schmerz und Jubel gesungen haben. So lehrt das Lied unser Herz Sprünge zu tun für die die eigenen Glaubensbeine eigentlich zu kurz sind.
Kann es sein, dass da noch ein anderer Tanz- und Freudenmeister, seine Hände im Spiel hat? Wenn ja – dann möge das unser Dankgebet sein: „Thank you for bringing back the joy!“
Florian Kunz
Predigt gehalten am 20. Oktober 2024, im Musikgottesdienst in Sankt Nikolai, Spandau anlässlich der Verleihung der KMD-Würde an Kantor Bernhard Kruse. Eine Liedpredigt zum EG 398: "In dir ist Freude".
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