"Jauchzet, frohlocket!"

"Jauchzet, frohlocket!"

"Jauchzet, frohlocket!"

# Predigt des Superintendenten

"Jauchzet, frohlocket!"

„Jauchzet frohlocket!“ Wer Schokolade mag und Barockmusik wird dieses Konfekt lieben: Bach-Würfel. Ja, die gibt es wirklich. Der Salzburger Konditor Fürst, der auch die Original-Mozart-Kugeln erfunden hat, kreierte sie 1985 zum 300. Geburtstag des berühmten Komponisten. Mit Schokolade überzogene Trüffel sind das, weiß verpackt mit Goldrand und darauf das typische Porträt von Johann Sebastian mit weißer Perücke und ernstem Blick.   

Bach im eckigen Format – das gab's auch vor gut einer Woche. Auf der Mattscheibe nämlich, ganz ohne Schokolade, aber mit viel Musik und im Ersten: „Bach ein Weihnachtswunder“ – erzählt von der Entstehungsgeschichte des Weihnachtsoratoriums. Also so wie es hätte gewesen sein können. Denn die historische Quellenlage ist derart dünn, dass den Filmemachern viel Raum für Fantasie blieb. Auf jeden Fall ist ein bezaubernder Weihnachtsfilm entstanden, der gewiss in den nächsten Jahrzehnten „Dem kleinen Lord“ und „3 Haselnüsse für Aschenbrödel“ ernsthafte Konkurrenz machen wird.   

„Jauchzet frohlocket!“ bis diese Worte das erste Mal mit Pauken und Trompeten erschallen, sind viele Hürden zu überwinden – so erzählt es der Film. Mit der Vertonung der Weihnachtsgeschichte nach Lukas in 6 Kantaten will Bach den ganz großen Wurf machen. Uraufführung am Weihnachtsmorgen 1734 um 7 Uhr in Sankt Nikolai – nicht Spandau, sondern Leipzig. Der Thomaskantor hat nur noch wenige Tage, um sein Werk fertig zu stellen. Entsprechend sieht es im Hause Bach aus: Überall hängen an Wäscheleinen die Notenblätter und Bachs Frau, die älteren Kinder und seine Neffen sind emsig dabei die Chor- und Orchestersätze zu kopieren, während Vater Bach an seinem Cembalo sitzt und Melodien ausprobiert. „Wo ist denn das Bass-Rezitativ?“ ruft der Librettist Henrici in den allgemeinen Trubel. „Hinter dem C-Dur-Choral in der Schlafkammer“, antwortet Bach. „Geh ruhig hinein, darin ist auch Musik!“   

„Jauchzet frohlocket!“ Dazu ist es den Mitgliedern der Familie Bach allerdings zunächst gar nicht zumute. „Seufzet und klaget“ ist eher ihr Cantus firmus. Der Film folgt ihren persönlichen Geschichten, zeigt sie als Menschen mit Konflikten und Traurigkeiten, Menschen auf der Suche nach Erlösung, Menschen wie wir. 

Da ist zunächst Bach selbst, den Devid Striesow herrlich widerborstig und aufbrausend verkörpert. Die Aufführung seines Weihnachtsoratoriums ist in ernster Gefahr, da der finstere Stadtrat Stieglitz sie mit allen Mitteln verhindern will. Der pocht auf Bachs Arbeitsvertrag, wonach er „keine opernhaften Kantaten, sondern Lieder zum Mitsingen für die Gemeinde“ zu komponieren habe und der Superintendent wirft ihm vor, mit seiner eitlen Musik die Predigt in den Schatten stellen zu wollen. Bach widerspricht „Wir müssen die Menschen erschüttern - das Verstockte, Versteinerte aufbrechen. Meine Musik öffnet ihre Herzen.“ Und man fragt sich, meint er auch das Verstockte und Versteinerte in seinem Herzen? 

Da ist Anna-Magdalena Bach, ihre Karriere als Sängerin hat sie mit ihrer Heirat aufgegeben, sie erwartet ein Kind - wieder. Sieben Kinder musste sie bereits begraben. Im Film sieht man wie sie vor der schneebedeckten Grabplatte der sieben Kinder kniet und Blüten und Lebkuchen darauf ablegt. Wird das Kind in ihr leben, eine Zukunft haben? An dieser bangen Frage trägt sie tränenschwer. 

Und da ist Carl Philipp Emanuel, zum Weihnachtsfest ist der Zweitälteste nach Hause zurückgekehrt. In Frankfurt Oder studiert er Jura, leitet die dortige Universitätskapelle. „Er vergeudet sein Talent“, findet der Vater, der ihn frostig empfängt. Wäre er mal weiter bei ihm in die Lehre gegangen. Dabei versteht er nicht, dass der Sohn sich freischwimmen musste, zu einengend ist der Genius des Vaters, von dem er sich nicht gesehen fühlt. 

Und dann ist da Gottfried, der jüngste Sohn. Er sucht nach seinem Platz in der Welt. „Schwachsinnig“ nennt man den Jungen, zärtlich beschützt von seiner Mutter. Nur selten bringt er einen Laut heraus, schnitzt lieber Holzmännchen – für jeden der 56 Mitglieder der Großfamilie Bach eines. Manchmal versteckt er sich in der Orgel – da ist er der Musik ganz nah.   

Weihnachten soll es werden, alles läuft im Film darauf zu und auf die Premiere der großen Weihnachtsmusik. Doch den Protagonisten ist es gar nicht weihnachtlich zumute – da ist so viel Ungelöstes, Banges und Dunkles in ihnen. Wie zum Sinnbild sieht man die jüngste Tochter Elisabeth, einen der letzten Weihnachtsbäume kaufen und ihn im Schneegestöber der geschäftigen Stadt hinter sich herziehen. Das kleine Mädchen kann die große Tanne nur mit Mühe fortbewegen. Dass Weihnachtbäume erst im 19. Jahrhundert in Mode kamen – geschenkt. Die Aussage ist klar: Manchmal ist der Weg zur Weihnachtsfreude ein schwerer. Vielleicht ist das auch immer wieder unsere Erfahrung? Auch wir kennen Familienkonflikte, wissen um die Dunkelheiten in unserem Herzen und in der Welt, sehen die Fernsehbilder von Krieg und Zerstörung in der Ukraine, in Israel und Gaza, das Lichter- und Blumenmeer vor dem Dom in Magdeburg. Ja, manchmal ist der Weg zur Weihnachtsfreude ein schwerer – wie eine zu große Tanne im Schlepptau.   

Die Texte des Weihnachtsoratoriums wissen darum. Wie soll ich dich empfangen? Und wie begegn' ich dir? Fragt der Choral unter der Nummer 5 mit Worten Paul Gerhardts und drückt ein Gefühl aus, das ich auch gut kenne: Ich bin nicht bereit für Weihnachten, für den Gast, der in mein Leben kommen will. Der Choral ist eigentlich ein Adventslied und es ist gewiss kein Zufall, das Bach ihm die Melodie des Passionsliedes „O Haupt voll Blut und Wunden“ gegeben hat. Weil Krippe und Kreuz aus demselben Holz geschnitzt sind? Jedenfalls bekommt hier die Traurigkeit Raum, Trauer über das eigene Unvermögen Gott zu begegnen. Da hilft nur der Stoßseufzer: O Jesu, Jesu, setze mir selbst die Fackel bei – damit mir ein Licht aufgeht für dich, für die Liebe zu dir. Da ist die Sehnsucht, das Gott hinein kommt in meine Unfertigkeit und das erhellt, was dunkel und traurig ist in mir.   

Diese Linie zieht Bach weiter in der Mischung aus Choral und Rezitativ unter der Nummer 7: Er ist auf Erden kommen arm – ein Luther-Text, der Paulus-Worte aufnimmt. In Ärmlichkeit kommt Jesus zur Welt, in die Armut eines Stalls und einer Futterkrippe. Er legt sich hinein in das, was ärmlich ist in uns. Da will er wohnen, mit uns sein. Ja, wer vermag es einzusehen, wie ihn der Menschen Leid bewegt? Der Choral mündet in einem Kyrieruf, der Bitte um Erbarmen – die strahlend mit der folgenden Bass-Arie beantwortet wird: Großer Herr, o starker König. Das Motiv der Ärmlichkeit wird hier weiter ausgemalt und kontrastiert: Der Schöpfer der Welt mit all ihrer Pracht wählt sich eine harte Krippe als Bett. Jesus ist eben ein ganz anderer König. Das Royale unterstreicht der Einsatz der Trompeten. Die prägnanten Dreiklänge sind ein Hinweis auf die Dreieinigkeit Gottes. Wenn allerdings im zweiten Teil der dreiteiligen Arie die Trompete schweigt, dann nicht nur, damit der Virtuose mal verschnaufen kann, sondern auch weil der Text jetzt aus der Höhe in die Tiefe geht. In der harten Krippe ist der Glanz der Majestät Gottes nicht mehr zu erkennen, doch es ist das Geheimnis von Weihnachten, dass er aber genau dort zu finden ist.   

Auch im Film wird es schließlich Weihnachten, die Erlösung kommt durch die Musik – wie könnte es anders sein? Der finstere Stadtrat Stieglitz hat sich in die Wohnstube der Bachs geschlichen und betrachtet kopfschüttelnd die Notenblätter, die an den Wäscheleinen baumeln, als Familie Bach eintrifft. „Das ist ja schlimmer als ich dachte …“, grummelt Stieglitz. Wütend bekräftigt er sein Aufführungsverbot. Schon fast zur Tür ist er heraus als Gottfried zu singen anfängt, Gottfried, der Stumme, der mitleidig belächelte. Ich steh an deiner Krippe hier, o Jesu, du mein Leben singt er mit glockenhellem Sopran und seine Familie fällt in den Choral ein: Ich komme, bring und schenke dir was du mir hast gegeben. Das ist das Weihnachtswunder – dass da jemand seine Stimme findet, das auch. Aber, dass wir so vor der Krippe stehen können, wie wir sind – auch mit unseren Unvollkommenheiten und Brüchen geliebt sind und angenommen. So wird es Weihnachten.   

Da wird schließlich auch der Stadtrat weich. Am ersten Weihnachtstag hallen die Paukenschläge und Fanfaren durch die Nikolaikirche und kündigen die Freudenbotschaft von Weihnachten an: „Jauchzet frohlocket, auf preiset die Tage!“ Johann Sebastian Bach singt die Worte freudig mit während er seine Thomaner auf der Orgelempore dirigiert. Die Gemeinde lauscht verzückt, sogar dem Stadtrat glitzern Tränen in den Augen. Nur einen hält es nicht in der Kirchenbank. Glücklich und selbstvergessen tanzt Gottfried im Mittelgang der Kirche, wiegt sich im Reigen der Klänge, fast schwerelos wirkt er, wie zwischen Himmel und Erde, ein Sinnbild des erlösten Menschen. „Jauchzet, frohlocket!“   

Wer Schokolade mag und Barockmusik wird dieses Konfekt lieben: Bach-Würfel. Unter der Kuvertüre enthalten sie Nuss, Marzipan und … Kaffee. „Kaffee? Vielleicht ein Hinweis auf die Kaffee-Kantate?“ schmunzelt der Bach-Kenner. Ich glaube es liegt daran, dass Bachs Musik ein Wachmacher ist – dafür braucht es gar nicht unbedingt Pauken und Trompeten. Bach macht wach. Seine Musik  macht empfindsam für die Schwere des Lebens und ermuntert Herz und Geist für eine überirdische Freude und Lebenslust, wo wir etwas schmecken von Gnade. Auch ohne Schokoladenüberzug - ich bin sicher: Bach wird uns nicht nur dieses Weihnachtsfest mehr als versüßen.   

Amen.

Florian Kunz

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