Kunztandacht: „Imago“ von Michael Triegel

Kunztandacht: „Imago“ von Michael Triegel

Kunztandacht: „Imago“ von Michael Triegel

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Kunztandacht: „Imago“ von Michael Triegel

Bei den Bildern des Leipziger Malers Michael Triegel muss man zweimal hinsehen. Auf den ersten Blick denkt man, es mit dem Werk eines Alten Meisters zu tun zu haben. Die Farben, der feine Pinselstrich und die geschickt platzierten Details erinnern an die Bilder Cranachs oder Dürers. Doch bei näherem Hinsehen ist etwas merkwürdig, sperrig, irritierend. Passt nicht so recht in das Genre des klassischen Andachtsbilds.  

Kopie des Bildes auf Staffelei im Altarraum

So auch hier. Wir blicken in einen Raum hinein – mit der Gewölbedecke und dem Butzenglasfenster lässt dieser an die Stube in einem Bürgerhaus der Renaissance denken. Wären da nicht die weißen Fliesen – die den Boden und die Wand bis zur Höhe des Fensterbretts bedecken. Sauber, fast steril wirkt das – wie das Badezimmer eines Pflegeheims. Und tatsächlich steht da auch ein Rollstuhl in der Raummitte. Er ist leer. Ist gerade jemand zum Waschen aus dem Stuhl gehoben worden? Ist der Rollstuhl verwaist, weil jemand gestorben ist? Auf jeden Fall steht er für die Verletzlichkeit und Endlichkeit des menschlichen Lebens.

Und gleichzeitig hat der Rollstuhl mit seinen vergoldeten Stangen und Speichen und bezogen mit edlem Brokatstoff auch etwas von einem Thron. Gebrechlichkeit, Sterblichkeit und königliche Würde – wie geht das zusammen? Mag man sich fragen.  

Es ist kein Zufall, dass über dem Rollstuhl Christus schwebt. In ihm kommt das alles zusammen – der Leidende, der Sterbende, der König. Sein Körper trägt sichtbar die tödlichen Wunden der Welt, aber hat die Erdenschwere hinter sich gelassen, mit seinem roten Königsmantel und dem edelsteinbesetzten Heiligenschein triumphiert Christus über den Tod. Es ist der Auferstandene, der hier schwebt. 

Im Raum verteilt finden sich weitere Hinweise auf die Auferstehung. Die brennende Kerze könnte man als Osterlicht deuten. Das Ei ist keine Anspielung auf den berühmten Sketch von Loriot mit dem Frühstücksei. Hier ist es ein Osterei im ursprünglichen Sinne – wird nicht gegessen oder ausgeblasen, sondern will ausgebrütet werden. Aus ihm soll neues Leben schlüpfen.

Und dann sind da die Schmetterlinge, die den Rollstuhl umflattern. Auch sie sind ein altes Symbol für die Auferstehung. Die Raupe, die sich in ihrem Kokon verpuppt wie in einer Grabeshöhle und dann in neuer Gestalt herausbricht, mit Flügeln zum Licht emporstrebt – ein Gleichnis für die wundersame Metamorphose zum ewigen Leben. Die Hoffnung, dass auch wir mit unserem sterblichen Leib verwandelt und neu werden – irgendwann.

Doch das ist noch nicht alles. Zur Rechten des Auferstandenen sieht man eine Lilie, zur Linken ein Schwert. Triegel zitiert hier ein bekanntes Motiv aus der Kunstgeschichte: Christus beim Weltgericht. Vom Künstler Hans Memling gibt es eine fast identische Darstellung für ein Altarbild im 15. Jahrhundert. Auf der Lilienseite mit der segnenden rechten Hand sind dort die Erlösten zu sehen, auf der Schwertseite die Verdammten. Christus als einer, der scheidet und unterscheidet, Gott als Richter. 

Vielen ist diese Vorstellung fremd geworden, verträgt sich nicht so recht mit der Idee eines lieben Gottes. Für andere steckt darin eine große Hoffnung - die Hoffnung, dass erlittenes Unrecht nicht ungesühnt bleibt, sondern, dass in allerletzter Instanz Gerechtigkeit waltet, weil Gott selbst die Dinge zurechtbringt. Beim jüngsten Gericht gilt eben nicht das Recht des Stärkeren, sondern hier stellt sich der verwundete Gott auf die Seite der Verwundeten, Schwachen, Unterdrückten. 

Menschen sitzen um das Bild im Altarraum herum

„Imago“ hat Michael Triegel sein Bild genannt, das heißt „Ebenbild“. Ein Ebenbild Gottes ist der Mensch – erzählt die Bibel – darin liegt seine besondere Würde. Und Christus sagt seinen Jüngern, dass wo immer ihnen ein Fremder, Kranker, Obdachloser oder Gefangener begegnet, sie in sein Antlitz schauen. „Was ihr dem Geringsten unter meinen Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Zugespitzt könnte man sagen: Im gebrechlichen, pflegebedürftigen Menschen habe ich kein Defizitwesen vor mir, sondern meinen Bruder oder meine Schwester. Hier begegnet mir mein Herr und Richter Jesus Christus. Ein Rollstuhl wird zu seinem Thron. Das ist eine radikale, ja sperrige Botschaft in einer Welt, in der Fitness First zur obersten Maxime erhoben wird und die dem Optimismus frönt, Alter und Krankheit irgendwann ganz besiegen zu können.  

Michael Triegel malt ein anderes Bild, der christliche Glaube malt ein anderes Bild. Damit unsere Gesellschaft das Mitgefühl nicht verlernt für die Schwächsten und Verletzlichsten unter uns. Und zum Trost für uns, wenn wir uns selbst als sterblich und gebrechlich erleben – dass uns Christus dann ganz nah ist, näher als unsere Herzhaut: „Imago“, das heißt Ebenbild.  

Der schwebende Christus sitzt auf einem Regenbogen. In der Bibel ist das das Zeichen für den Neuanfang nach der Sintflut, das Versprechen: Gott will das Leben, er bleibt uns nah.  

Florian Kunz

Predigt gehalten am 8. Juni 2025, in der St. Nikolai Kirche zur "Kunztandacht" im Rahmen der Nacht der offenen Kirchen.

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