17/03/2025 0 Kommentare
Zu Besuch bei der Chabad-Gemeinde
Zu Besuch bei der Chabad-Gemeinde
# AG Christen und Juden

Zu Besuch bei der Chabad-Gemeinde
Begegnungen mit vielfältigem Judentum in Berlin

Direkt neben der evangelischen Daniel-Gemeinde in der Wilmersdorfer Münsterschen Straße liegt der Campus der jüdisch-orthodoxen Gemeinde Chabad-Lubawitsch. Große, moderne Gebäude, mit sichtbar geschützten Eingängen laden ein, zu fragen, wer auf diesem großen Gelände lebt, lernt, feiert, singt und betet.
Eine Gruppe von 15 Spandauer*innen meldete sich – über die kreiskirchliche Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden - für Sonntagnachmittag, 9.März 2025, an und wurde von Rabbiner David Teichtal, der erst vor wenigen Stunden aus Israel zurückgekehrt war, unkompliziert und herzlich empfangen.
Wir wurden in die große Synagoge (250 Plätze) gebeten und hörten dort, wie sich die Gemeinde versteht, was sie zusammenhält, wie sie wächst und was sie plant.
Die Basis der Gemeinde

Das Studium der Thora, das Erforschen, Lernen und Diskutieren ist die Basis von Chabad. Darauf weist bereits der Name hin: Die hebräischen Anfangsbuchstaben Chochma=Weisheit, Bina=Erkenntnis, Daat=Wissen ergeben das Wort Chabad. Die Gemeinde bezieht sich auf ihren chassidischen Gründer Rabbiner Schne’ur Salman, der im 18. Jahrhundert in dem Gebiet von Lubawitsch in der Nähe von Smolensk lebte.
Wir hörten, die orthodoxe Chabad-Gemeinde feiert gerne und - je nach Anlass ausgelassen - die Feste der jüdischen Tradition, z.B. das Purimfest zum Gedenken an Königin Ester, die die Juden im Perserreich vor der Vernichtung durch den Beamten Hamann rettete (Buch Esther). Damit bringt sie Menschen zusammen und erinnert auf anschauliche Weise an die eigene Geschichte. Besonders aufmerksam beachtet sie die Reinheitsgebote der Speisen, das Verhalten im Alltag und am Schabbat, pflegt das Studium der Thora und die Aufgaben sozialer Fürsorge, wozu auch ein Flüchtlingsheim für Menschen verschiedener Religionen aus der Ukraine gehört.
Die Chabad-Gemeinde gibt ihren Gemeindegliedern Hinweise, wie sie koscher einkaufen, kochen und bewirten können. Bevormundend hörte es sich nicht an, denn es gibt immer Ausnahmen, auch wirtschaftliche Aspekte und die Unerreichbarkeit geprüfter Lebensmittel. Obst und Gemüse, Milch sowie Rind- und Geflügelfleisch – wenn es koscher geschlachtet wurde - entsprechen den Reinheitsgeboten.
Überraschendes Wachstum
Es ist eine wachsende Gemeinde, so dass die Synagoge in nächster Zeit um das Dreifache vergrößert werden soll. Wir staunten und fragten nach: Rabbiner Yehuda Teichtal, einer von 12 Rabbinern der Gemeinde, ist durch seine öffentliche Präsenz z.B. am Brandenburger Tor beim Entzünden der Chanukka-Kerzen bekannt. Er zieht Menschen spirituell an, überzeugt durch seine Ausstrahlung und kümmert sich seelsorgerlich um seine Gemeinde.
Wie kommt die Gemeinde dabei finanziell über die Runden und kann sich die Erweiterung und Unterhaltung von Schule, Kita, Festsaal, Synagoge und Gemeinderäumen leisten? Die Antwort: Es kommt auf die Überzeugungskraft der Rabbiner an, die für eine gute Spendenbereitschaft sorgen müssen.
Offenheit gegenüber den Nachbarn
Eine erstklassig ausgestattete Schule, einen modernen Festsaal, eine schöne Mensa konnten wir besichtigen; an einer Kita und einem Sportplatz kamen wir vorbei. Dort werden auch Kinder aufgenommen, die nicht der Gemeinde angehören, aber die Warteliste ist lang. Rabbiner gehen in die umliegenden Schulen und diskutieren mit muslimischen Kindern, Berührungspunkte werden gesucht. Es gibt keine Scheu, sich zu öffnen, auch wenn es auf dem Gelände nicht ohne massive Sicherheitsmaßnahmen geht, die uns betroffen machten. Wir wünschten uns, die Thorarollen zu sehen. David Teichtal öffnete ohne Umstände den großen Thoraschank und ließ uns einen Blick auf die wertvollen Rollen in ihren Gewändern werfen, auch wer keine Kippa trug, wurde dabei akzeptiert.
Als Gäste willkommen

Wir konnten Fragen stellen und fühlten uns als Gäste willkommen. Bevor es zu einem Dialog kommen kann, müssen wir etwas voneinander wissen, uns auch die eigenen Traditionen und Vorstellungen vergegenwärtigen. Klischees und Vorurteile können nur aufgehoben werden, wenn wir sie respektvoll miteinander besprechen.
Es sind behutsame Begegnungen, die wir bisher hatten. Zuletzt in der Synagoge am Fraenkelufer mit einer jungen konservativen Gemeinde mit traditionellem Ritus, die uns am Gottesdienst teilnehmen ließ. Davor waren wir in der liberal-egalitären Sukkat Schalom-Gemeinde am Lietzensee und in der liberalen Synagoge Pestalozzistraße, deren Kantor nach Siemensstadt kam und eine eindrucksvolle Einführung in die Gebete gab.
Die Konzentration auf die Aufarbeitung des Holocaust hat unseren Blick verengt. Die Verantwortung aus der Geschichte – auch des christlichen Antisemitismus – geben wir nicht auf, aber wir üben uns darin, gegenwärtigem jüdischen Leben im Austausch zu begegnen. Es ist für uns zuerst ein Lernen, Studieren, Diskutieren. Wir laden dazu weiterhin im Kirchenkreis Spandau ein und freuen uns über Interessierte, die sich mit uns auf den Weg machen wollen.
Christine Pohl, Mitglied der AG Christen und Juden in Spandau
Kontakt: christen-juden@kirchenkreis-spandau.de
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Fotos: Dr. Christian Kindel
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